In vier Abschnitte ist dieses Handbuch unterteilt, das den Körper als Sprach-Konzept verkörpert. Der erste, „Bewegungen“, liest sich wie ein Kompendium aller möglichen Aufenthalte dieses Körpers im Raum. Stehen, stampfen, humpeln, gehen, tanzen, liegen, hüpfen, stolpern sind nur einige davon, sozusagen die Urbewegungen, die Vektoren aus Gefühl und Affekt; dazu kommen zielgerichtete Handlungen wie „Schnürsenkel binden“, „Treppensteigen“, „den Zeigefinger auf die Lippen legen“, oft mit einer genaueren Orts- oder Zeitangabe verbunden. Ein Gedicht verweist dabei zumeist auf das nächste, wobei dessen Sprachmaterial aufgegriffen wird, so daß sich daraus immer neue Sinnzusammenhänge ergeben. Das Buch selbst ist die Projektionsfläche dieser Bewegungen, und ihre Positionen zueinander stellt der zweite Abschnitt, „Aufgaben“, grafisch dar, verbunden mit Handlungsanweisungen, die sich quasi als Einübung in Selbstbewußtsein und Wahrnehmung verstehen: „Gehe wie unter Finanzriesen“, „Definiere Lebenselixier“, „Pulse in allem, was wabert“. Ein kleines Beibüchlein, Movarium genannt, illustriert dies auf zum Teil ebenso drollige wie hintersinnige Weise.
Der dritte Abschnitt stellt eine poetologische Reflektion in Prosa dar, lyrisch, luzide, analytisch. Einige Stichworte des Handbuchs werden dabei aufgegriffen und in andere, neue Zusammenhänge gebracht. Hier wird deutlich, wie das Konzept des Kunstwerks in die Realität des Schreibenden eingreift: „Wenn aus dem Schreiben eine Haltung wird und man konserviert das, was man geschrieben hat, aber die Haltung nicht, was dann? Wie man sich in eine Haltung hineinschreibt, so kommt man aus ihr nicht heraus. [...] Aus der Haltung könnte eine Bewegung werden, deren passivster Teil ich bin.“ Aus dem Wechselspiel von Haltung und Bewegung (beide Begriffe offenbar sehr bewußt doppeldeutig gebraucht) entsteht wiederum eine Kaskade von Gedanken und Ideen: „Die Bedeutungen wechseln so schnell die Bewegung, dass es aussieht, als renne das Zimmer.“ (…)
Wer etwas ohne Prisma des lyrischen Ichs erfahren möchte, bei dem wird sich Enttäuschung einstellen, erscheint doch jene Mit- und Außenwelt nicht im Bemühen um objektive Darstellung, sondern überwiegend als Reflex der Sprache und des Wahrnehmungsprozesses. Doch wer eine erhitzte, übermütige, aufmüpfige Sprache zu schätzen weiß, der muß diesen Band unbedingt innig lieben und die konsequenten Kapriolen — mit: Chapeau! — bewundern. / Jürgen Brôcan, Fixpoetry
Martina Hefter: Vom Gehen und Stehen. Ein Handbuch. Gedichte. ISBN: 978-3-937445-55-7. 19.90 Euro. kookbooks, Berlin 2013.
